JahreNationalversammlung in derPaulskirche „Sehr viel ist in der Region passiert“ Autorin Sabine Börchers führt in ihrem Buch „Routen der Freiheit“ zu Orten der Demokratiebewegung im 19. Jahrhundert Die Frankfurter Autorin Sabine Börchers hat sieben Routen rund um Frankfurt – bis zum Rheingau und zur Bergstraße – verfolgt und noch vorhandene Spuren der Revolutionärinnen und Revolutionäre ab 1830 entdeckt. „Es gibt bislang kein Buch, das die Demokratiebewegung von 1830 bis 1848 in der Rhein-Main-Region mit den noch vorhandenen Orten so ausführlich beleuchtet“, sagt Börchers. Ihr neues Buch heißt „Routen der Freiheit“. Es ist Geschichtsbuch und Ausflugsführer zugleich. Was ist einer Ihrer Lieblingsorte, Frau Börchers? Das ist einmal Hallgarten, heute ein Ortsteil von Oestrich-Winkel im Rheingau. Der liberale Politiker Adam von Itzstein hat dort den Hallgartenkreis gegründet und wurde damit zum Wegbereiter der Nationalversammlung. Ab 1839 hat er im Gutshaus seiner Familie Liberale und Demokraten aus unterschiedlichen Bundesstaaten zu geselligen Runden eingeladen. Dieses Gutshaus gibt es bis heute. Es ist in Privatbesitz. Aber man kann das Trommlerhaus am Rande des Gutes sehen, das heute als Revoluzzer- Gartenhaus für Weinproben genutzt wird. Es war der Ort, an dem sich die Politiker getroffen haben, um sich konspirativ zu besprechen. Und welches ist noch ein besonderer Ort? Das Bahnhofsgebäude in Hemsbach unweit von Heppenheim. Nach dem Scheitern der Paulskirche 1849 haben dort die Revolutionäre ihre letzte große Schlacht gegen die Truppen des Großherzogs gekämpft und verloren. Eine Kanone hat den Bahnhof getroffen, da war ein Loch und man hat später eine Kanonenkugel wieder eingesetzt. Sie fällt kaum auf, weil sie relativ weit oben in der Mauer sitzt. Es gibt auch keine Tafel, die darauf hinweist. Aber wenn man es weiß, ist es eben ein historischer Ort. Warum jetzt so ein Buch? Wir feiern 2023 den 175. Jahrestag der Nationalversammlung. Das Jubiläum wird die Paulskirche ins Zentrum stellen: Mir war es aber wichtig zu zeigen, dass neben dem Zentrum auch sehr viel in der Region passiert ist. Das Buch beginnt in Frankfurt mit einem Spaziergang rund um die Paulskirche. Aber wichtige Orte waren eben auch die Wetterau, wo schon 1830 mehrere Pfarrer aktiv Netzwerke aufbauten. Oder auch Hanau mit dem Wilhelmsbader Fest. Dort fand 1832eine Volksversammlungmit rund zehntausend Menschen statt. Sie kamen aus den verschiedenen Bundesstaaten, um sich für Freiheit und ein vereintes Deutschland einzusetzen. War es eine Revolution von unten? Nicht allein. Den Politikern und Intellektuellen ging es um die Einheit des Landes, um die Gleichheit aller vor dem Gesetz, die freie Meinungsäußerung, aber auch um religiöse Freiheit. Die Massen, die auf dem Land kämpften, waren vor allem Bauern, Tagelöhner, Mainschiffer und Fabrikarbeiter, denen es eher um die Verbesserung ihrer Lebensumstände ging. Die Intellektuellen hatten natürlich die Situation der unter Fronabgaben und Hungersnöten leidenden Bauern erkannt. Der Schriftsteller Georg Büchner zum Beispiel forderte sie in seinem „Hessischen Landboten“ auf: „Geht einmal nach Darmstadt und seht, wie die Herren sich für euer Geld dort lustig machen.“ Die Revolution war hauptsächlich eine Männerdomäne. Aber es gab auch wenige Frauen wie die Frankfurterin Henriette Zobel, die Frau eines Lithografen … Ja, sie stammte aus dem Volk. Sie hat sich sehr für Politik interessiert und Debatten in der Paulskirche oder Versammlungen auf der Pfingstweide besucht. Henriette Zobel war auch beim sogenannten Septemberaufstand dabei. Arbeiter und Bauern sind auf die Straße gegangen, einen Tag nachdem Preußen im Alleingang einen Waffenstillstand mit Dänemark vereinbart und damit allen die Machtlosigkeit der Nationalversammlung vor Augen geführt hatte. Während der Unruhen und Barrikadenkämpfe wollten die beiden Abgeordneten der Nationalversammlung Felix Fürst von Lichnowsky und General Hans von Auerswald sich am Friedberger Tor die Zustände anschauen und wurden dabei getötet. Henriette Zobel wurde als Rädelsführerin denunziert. Sie soll mit einem Regenschirm auf den Fürsten eingeschlagen haben. Sie saß sieben Jahre lang in Untersuchungshaft und wurde dann zu 16 Jahren Zuchthaus verurteilt. Dabei wurden beide erschossen. Sie war also ein Bauernopfer. Die Presse nannte Zobel nur „Die Furie“ … Sie war vor allem ein Beispiel dafür, dass man jede demokratische Bewegung im Keim ersticken wollte. Woran ist die Nationalversammlung gescheitert? Und warum war diese Demokratiebewegung trotzdem wichtig? An der wieder gefestigten Macht der Fürsten in den einzelnen Staaten, die letztendlich mit Waffengewalt den letzten revolutionären Widerstand niedergeschlagen haben. Doch derKampfwarnichtumsonst:DieNationalversammlung hat in der Reichsverfassung erstmalsMenschen-undBürgerrechteverankert. Diese sind in die Weimarer Verfassung und später ins Grundgesetz eingeflossen. Warum ist dieses Buch gerade jetzt wichtig? In diesen Zeiten, wo wir sehen, wie zerbrechlich eine Demokratie ist und wie sehr man dafür kämpfen muss, in Freiheit leben zu können, halte ich es für wichtig, sich darauf zu besinnen, dass es auch in unserem Land viele Menschen gab, die dafür gekämpft und ihr Leben verloren haben. So, wie wir es heute in der Ukraine erleben. Demokratie erfordert ständige Wachsamkeit und Zivilcourage. Kathrin Rosendor Sabine Börchers, die gebürtige Ostfriesin Sabine Börchers (55) ist freiberufliche Journalistin und für verschiedene Zeitungen und Magazine tätig. Die Literaturwissenschaftlerin und Kunsthistorikerin hat bereits zahlreiche Bücher geschrieben, unter anderem über den Frankfurter Palmengarten und das Tigerpalast- Varieté. Einst Ort konspirativer Treffen, wird das „Revoluzzer-Gartenhaus“ im Rheingau heute für Weinproben genutzt. Foto: Sabine Börchers Die Kanonenkugel, die das Bahnhofsgebäude in Hemsbach beim Kampf der Revolutionäre gegen die herzoglichen Truppen traf, ist oben rechts zu sehen. Foto: Thorsten Willig Foto: Christoph Boeckheler
Anzeigen-Sonderveröffentlichung Seite 11 „Unbedingt besuchen“ Frankfurt feiert Demokratiegeschichte Thomas Feda, Geschäftsführer der Tourismus+Congress GmbH Frankfurt am Main (TCF) Foto: #visitfrankfurt, Holger Ullmann Von Donnerstag, 18., bis Sonntag, 21. Mai, feiert Frankfurt die Demokratie mit einem großen Bürgerfest. Ausgerichtet werden die Feierlichkeiten durch die Tourismus+Cong- ressGmbHFrankfurtamMain(TCF).TCF- Geschäftsführer Thomas Feda blickt im Kurzinterview erwartungsvoll voraus. Worauf können sich die Besucherinnen und Besucher freuen? Sie dürfen sich auf zahlreiche musikalische Bühnenhighlights, abendliche Inszenierungen, Theateraufführungen, Sonderausstellungen,Mitmach-undInformationsangebote sowie Vorträge freuen. Die Ereignisse um das erste frei gewählte Parlament Deutschlands werden in unterschiedlichsten Formaten aufgegriffen und in zahlreichen Projekten erlebbar. Weshalb sollten wir uns dieses Fest nicht entgehen lassen? DadasJubiläumzurPaulskirchenverfassung nur alle 25 Jahre gefeiert wird, sollte man das Fest als Höhepunkt der zweijährigen Feierlichkeiten unbedingt besuchen. Was sind Ihre persönlichen Highlights? Besondere Höhepunkte sind die beiden Abendinszenierungen. Bei der „Ode an die Demokratie“ kann man eine eindrucksvolle Auseinandersetzung mit Facetten der Demokratie bei skulptural anmutenden Lichtprojektionen auf dem Main erleben. Und beim Walking Act „DUNDU - Stuttgarts Riesen der Demokratie“ werden die Gäste Das Programm zum Paulskirchenfest Foto: Stadt Frankfurt am Main, Jan Hassenpflug mit einer leuchtenden Großpuppe auf eine Reise in die Geschichte der Demokratie mitgenommen.DenBesuchderPaulskirchesollte man auf jeden Fall einplanen. Auch dort ist ein abwechslungsreiches Programm geplant. 1848 feiern, Demokratie leben! Unsere Initiativen zum Jubiläum des Paulskirchenparlaments – jetzt informieren! Bild: Juergen Sack cdu-fraktion-ffm.de
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