22 100 Jahre alter Schlepper am Main Sicher in den Hafen geleiten Aschaffenburger Schlepper ist seit fast 100 Jahren im Einsatz am Main Von Bernhard Pelka Im Schiffsverkehr nehmen Schlepper eine Sonderstellung ein. Mögen moderne Container- oder Kreuzfahrtschiffe auch noch so raffinierte Computertechnik an Bord haben: Ohne Schlepper oder Lotsen kommen selbst hochgerüstete Hightech-Giganten der Meere nicht immer sicher und aus eigener Kraft in den Hafen. Nur Schlepper verhelfen ihnen dann dank ihrer kompakten Bauweise und Wendigkeit zu maximaler Manövrierfähigkeit. Selbst auf dem Main waren sie früher unverzichtbar. Ein spezielles Exemplar dieser Spezies liegt im Aschaffenburger Floßhafen: der Schlepper „Bayern 2“. Er ist seit fast 100 Jahren im Besitz der Binnenschifferfamilie Stahl – und immer noch im Einsatz. Schiffsführer Karsten Stahl am Steuerrad. Die möglichen 25 Stundenkilometer Tempo mutet er seinem Schlepper nur selten zu. FOTOS: BERNHARD PELKA Auf dem Main und an seinem Liegeplatz ist der gut 16 Meter lange „Bayern 2“ ein Exot. Das liegt allein schon am Baujahr des historischen und originalgetreu erhaltenen Unikats: Im Januar 1938 lief das Arbeitsschiff in der Werft Mainz-Gustavsburg vom Stapel. Der damalige Kaufpreis ist nicht mehr überliefert. Aber wenigstens geht aus einem alten Vertrag mit Bestellliste hervor, dass mindestens die Hälfte der Summe auf einem Treuhandkonto hinterlegt sein musste. „Sonst hätte die Werft erst gar nicht angefangen, zu bauen“, schildert Karsten Stahl die damaligen Bedingungen. Stahls Opa, Richard Stahl, hatte den eisernen Kraftprotz in Auftrag gegeben. Dessen Herzstück ist ein Sechszylinder-Dieselmotor der Aschaffenburger Güldner Motoren-Werke, Baujahr 1936. Die Papiere weisen 180 PS aus. Wobei spätere Messreihen belegen, dass das Aggregat bei fast 80 Liter Hubraum sogar 300 PS hat. Allein der Antrieb wiegt acht Tonnen, der gesamte Schlepper an die 60. Wie alle alten Schiffsdiesel ist auch dieser Güldner-Motor ein Langsamläufer. Im Standgas macht er etwa 100 Umdrehungen pro Minute, bei Vollgas 500. Dann sind zu Tal maximal 25 km/h möglich. Aber die mutet Schiffsführer Karsten Stahl dem Oldie nur selten zu. Der Großdiesel hat einen offenen Ventiltrieb. Bedeutet: Kapitän Stahl muss die einzelnen Ventile und Kipphebel während der Fahrt alle zwei Stunden von Hand mit Öl aus einer kleinen Kanne nachschmieren. Auch die Nockenwelle braucht das schwarze Gold. Die Maschine ist unglaublich robust. Lediglich Kolben, Kolbenringe und einige Lager mussten bisher einmal ausgetauscht werden. Ersatzteile für Motorschäden werden seit 1960 wie ein Schatz gehütet und gepflegt Dabei ist der „Bayern 2“ ein Schwerstarbeiter. Vor Motorschäden muss die Betreiberfamilie auch aus einem anderen Grund keine Angst haben. 1960, als die Firma Güldner den Schiffsmotorenbau einstellte, kaufte Clemens Stahl, Vater von Karsten Stahl, alle wichtigen Ersatzteile zu Schrottpreisen auf. Sie werden bis heute gehütet und gepflegt wie ein Schatz – so wie der „Bayern 2“ auch. „Ich bin darauf groß geworden“, erinnert sich Skipper Stahl an glückliche Kindheitsjahre auf dem Schlepper. Die Binnenschifferfamilie des gebürtigen Aschaffenburgers hat eine lange Tradition. Karsten Stahl kennt die Ahnenreihe, die bis ins 15. Jahrhundert zurückreichen soll, zwar nicht bis ins Detail. Gesichert ist aber zum Beispiel, dass ein Vorfahre von ihm, Linus Stahl, zu den Kapitänen auf dem legendären Schleppschiff „Maakuh“ gehörte und am Steuerrad die besten Jahre der ab 1886 florierenden Kettenschifffahrt auf dem Main erlebte. Die „Maakuh“ zog sich selbst und zusätzlich mehrere antriebslose Binnenschiffe an einer im seichten Flussbett liegenden Kette voran. Die in der Mitte des Flusses liegende Kette wurde über das Vorschiff aus dem Wasser gehoben, lief um die von einer Dampfmaschine angetriebene Kettentrommel über das Deck und versank hinten wieder im Fluss. Die Kette lag in dem rund 396 Kilometer langen schiffbaren Flusslauf zwischen Mainz und Bamberg. Als der Main zu Beginn des 20. Jahrhunderts immer mehr Staustufen erhielt und für andere Schiffsantriebe bei größerer Fahrrinnentiefe befahrbar wurde, waren die acht Kettenschlepper auf der Strecke Hanau–Aschaffenburg 1937 schließlich überflüssig. Und das sonore Tuten des Dampfhorns, das dem Wasserfahrzeug im Volksmund den Namen „Maakuh“ verschafft hatte, blieb für immer stumm. Schlepper wie der „Bayern 2“ lösten die Kettenschleppschiffe ab. „Frachtschiffe hatten damals keinen Motor. Das war unser Geschäft“, erzählt Karsten Stahl. Die Partikuliertransportgenossenschaft Mainz bündelte die Aufträge und verteilte sie an Schiffseigner wie die Familie Stahl. Mineralöl und Stahlplatten nach Frankfurt, Kies nach Würzburg und Steine nach Bamberg. Dazu regelmäßig der Transport von Flößen nach Mainz. Dazwischen einen Frachter mit Motorschaden in die Werft schleppen: Das Auftragsbuch des „Bayern 2“ war voll. „In Mainz wurden dann noch größere Flöße mit Holz für den Schiffsbau in Holland zusammengestellt“, erinnert sich der Binnenschiffer an goldene Jahrzehnte. Erst als immer mehr Transportgüter vom Schiff auf schwere
100 Jahre alter Schlepper am Main 23 Der Schlepper „Bayern 2“ mit Steganlagen im Schlepptau. Lkw und die Bahn verlagert wurden, schwächelte die Auftragslage. 1978 schließlich ging der „Bayern 2“ mit dem Tod von Richard Stahl in seinem Heimathafen, dem Aschaffenburger Floßhafen, in Rente. Da waren in dem Oldtimer das Radar, Funkgeräte, ein AIS-Transponder (Navi plus Fahrtenschreiber) und andere Zusatzinstrumente längst nachgerüstet worden, um Sicherheitsauflagen erfüllen zu können. Karsten Stahl wechselte als Kapitän von Tankschiffen zur Reederei Walther in den Mineralöltransport, um später sein Geld als Chef des Waltherschen Tanklagers im Industriehafen Aschaffenburg zu verdienen. „Bayern 2“ schleppt Hausboote in die Erlenbacher Schiffswerft Am 1. Juli vergangenen Jahres ist der 65-Jährige dort in den Ruhestand gegangen. Jetzt hat er mehr Zeit für den „Bayern 2“ und für Gelegenheitsaufträge wie zuletzt im Floß- hafen. Dorthin schleppte der „Bayern 2“ zur Saisoneröffnung Steganlagen des Yachtclubs, die im Industriehafen Winterschlaf halten. An die Leine nimmt das nostalgische Schiff aber auch heute noch regelmäßig Hausboote, um sie zur Generalüberholung in die Erlenbacher Schiffswerft zu ziehen. Oder ein Frachtschiff mit Motorschaden braucht dringend Hilfe. Auch dann ist der „Bayern 2“ zur Stelle. Der bullige Schlepper ist noch immer der ganze Stolz der Eignerfamilie. Gerne zeigt sie ihn bei Traditionstreffen wie dem Schiffefestival „Saar-Tradition“, zu dem Jahr für Jahr Teilnehmer aus ganz Europa eintreffen. Dann wird an Bord des „Bayern 2“ nämlich nicht nur gefahren, sondern auch gekocht, gewohnt und geschlafen. „Das ist dann fast so wie früher“, schwärmt Karsten Stahl überglücklich und zufrieden von schönen Zeiten. Spannender Job! Sichere Zukunft! Bewirb Dich für ein DUALES STUDIUM oder eine AUSBILDUNG finanzverwaltung-mein-job.de DIE HESSISCHE FINANZVERWALTUNG #OhneUnsLäuftNichts
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