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Heimathafen

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30 Tradition auf dem

30 Tradition auf dem Main Schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts fuhren die Offenbacher auf dem Main entlang. Rotes Paradies auf der Hafeninsel Eine Geschichte des Arbeiter-Wassersport-Vereins von Offenbach Von Philipp Bräuner Es gab mal eine Zeit, da gehörte der Offenbacher Hafen dem Wassersport. Vor allem mit Beginn des 20. Jahrhunderts wucherte das Gebiet mit Vereinsheimen nur so zu, vor allem auf der Hafeninsel. 1931 war der Hafen schon die Heimat für fünf Schwimm- und drei Rudervereine. „Da war früher viel mehr los als heute“, erinnert sich auch Karl Heinz Bub. Er ist eines der ältesten Mitglieder des Wassersportvereins Offenbach, des WVO. Als der heute 88-Jährige mit zwölf Jahren zum Schwimmen kommt, habe der allerdings noch anders geheißen, nämlich Arbeiter-Wassersportverein Offenbach oder auch AWV. Bub ist einer der wenigen, die die Zeiten des AWV noch miterlebt haben, und das auch nur in deren Ausläufern. Denn die Hochzeit des Offenbacher Arbeiter-Wassersports war kurz und intensiv. 1923 gegründet ter-Wassersport-Verein hatte ein völlig anderes Sportverständnis als die bürgerlichen Vereine: Er stellte das Solidariund 1933 schon von den Nazis verboten und enteignet, habe man sich nur noch bis Anfang der 1950er Jahre unter dem Banner des Arbeiter-Wassersports am Mainufer zusammengefunden, bevor mit der Namensänderung in WVO das Kapitel endgültig geschlossen wurde. Die zehn Jahre bis 1933 aber waren in vielerlei Hinsicht gelebte Utopie – in ihrem „Paradies auf der Hafeninsel“, wie es die schwimmenden Offenbacher Arbeiter nannten. Viel findet sich nicht mehr über diesen aus heutiger Sicht ungewöhnlichen Sportverein, der in der kurzen Zeit zwischen 1923 und 1933 seine Blüte erlebte, genau wie der deutsche Arbeitersport im Allgemeinen. Nachdem das wilhelminische Sozialistengesetz aufgehoben worden war, wurden immer mehr sozialistische und sozialdemokratische Vereinigungen gegründet. Auch der Sport blieb davon nicht ausgenommen. Als Arbeiterhochburg war das „rote Offenbach“ prädestiniert, Heimat für diese Vereine zu werden. Schon Ende des 19. Jahrhunderts war hier zum Beispiel der regionale Arbeiter-Radfahrerbund Solidarität gegründet worden. 1907 wanderte dessen Bundeshauptsitz sogar von Chemnitz nach Offenbach. Dort sitzt der mittlerweile in „Rad- und Kraftfahrerbund Solidarität“ umbenannte Verband bis heute – als eine der letzten Arbeitersportvereinigungen in ganz Deutschland. Gründungsmitglieder des Vereins waren Jugendliche Aus dieser Perspektive war der AWV sogar recht spät dran. Am 1. Juli 1923 wurde er in Offenbach nach einer Versammlung des „Arbeitersport- und Kulturkartells“ offiziell gegründet. Die Ausgangslage war auf den ersten Blick bescheiden für den jungen Verein. Nicht nur hatten die 20 000 Papiermark Grundkapital im Hyperinflationsjahr 1923 eher symbolischen Wert. Auch hatten sich im AWV offenbar eher die Jungen Wilden zusammengeschlossen. Wie das Offenbacher Abendblatt vom 5. Juni 1929 im Rückblick schreibt, hatte es sich bei den Gründungsmitgliedern maximal um Jugendliche gehandelt. Der Vorsitzende Karl Hasche war unter ihnen der Älteste – mit 22 Jahren. Das alles hinderte die Arbeiter- Wassersportler aber nicht daran, nach den Sternen zu greifen. Zudem scheint das Bedürfnis nach „klassenbewusstem“ Sport in der Industrie- und Fabrikstadt Offenbach immens gewesen zu sein. Ähnlich wie die hehren Ziele der jungen Idealisten. So heißt es in der WVO-Vereinschronik zum 75- jährigen Bestehen: „Der Arbei-

Tradition auf dem Main 31 täts-Prinzip über den Konkurrenzgedanken und lehnte die individuelle Jagd nach Rekorden ab.“ Sport ganz ohne Wettkampf – das genügte selbst den klassenbewussten Arbeitern nur bis zu einem bestimmten Grad. Das zeigt sich nicht zuletzt an den Wettkämpfen der 1. Internationalen Arbeiterolympiade, die 1925 in Frankfurt stattfand. Bei dieser Gelegenheit fehlte auch der noch junge Offenbacher Wassersport-Verein nicht. Zu dieser Zeit nähten sich die Offenbacher eine eigene Fahne, die während der Nazi-Zeit von Mitglied Frieda Henn versteckt wurde – eingenäht in einen Sessel. Der AWV war aber nicht nur zur körperlichen Ertüchtigung der arbeitenden Klasse angetreten, sondern wirkte mit seinem Solidaritätsgedanken auch weiter in die Offenbacher Stadtgesellschaft hinein. So initiierten sie mit dem Arbeiter-Lebensrettungsdienst (ALRD) eine Truppe freiwilliger Rettungsschwimmer, die schichtweise das Offenbacher Ufer überwachten und dank derer „manches Kind am Mainufer seiner Mutter unversehrt wieder gebracht werden“ konnte, wie das Offenbacher Abendblatt schreibt. Mit der Zahl der Mitglieder wuchsen beim AWV auch die Ambitionen. Innerhalb von sechs Jahren ließen die AWVler ihren Wunsch Wirklichkeit werden und bauten sich aus eigener Kraft ein stattliches Vereinsheim. Dessen feierliche Eröffnung wurde 1929 von der lokalen Presse begleitet. 1500 Gäste sollen es bei der Strandweihe am 9. Juli 1929 gewesen sein, schreibt das Abendblatt am darauffolgenden Tag. Damals war zur Schwimm- bereits Die Mitglieder des Vereins im Jahr 1926: Ausschließlich Männer und Jungen. FOTOS: PRIVAT eine Paddelabteilung dazu gekommen, für die im zweistöckigen Vereinsheim 35 Bootsplätze vorgesehen waren. Vor dem 4000 Quadratmeter großen Gelände war mit Holzbarken das Strandbad abgetrennt, in dem die Arbeiterinnen und Arbeiter nicht nur schwammen, sondern auch Wasserball spielten. Später kam außerdem noch ein Handball-Abteilung dazu. Viele Vereinsmitglieder wechseln in der Kriegszeit nach Mühlheim „Es waren glückliche Jahre mit begeisterter Aufbauarbeit, großen sportlichen Erfolgen und geselligem Vereinsleben“, blickt die Vereinschronik etwas wehmütig zurück. Denn schon vier Jahre nach der feierlichen Eröffnung versank das „Paradies auf der Hafeninsel“ im braunen Sumpf. Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten wurden alle Arbeiterorganisationen verboten, einschließlich des AWV. Der Verein wurde enteignet, das Vereinsgelände zwischenzeitlich vom SA-Pioniersturm zu Übungszwecken verwendet, bis das Haus irgendwann abbrannte – angezündet von den Nazis, vermutet Bub. „Die meisten Mitglieder sind in dieser Zeit in den Wassersportverein nach Mühlheim gewechselt“, erinnert er sich an die Berichte der älteren Vereinsmitglieder. Bis Kriegsende war es nun erst einmal aus mit dem Arbeiter-Wassersport in Offenbach. Nachdem Krieg ging es noch ein wenig weiter mit dem Arbeiter-Wassersport in Offenbach. Schon 1945 trafen sich einige ehemalige Mitglieder auf der Hafeninsel, um dort weiterzumachen, wo sie zwölf Jahre zuvor vertrieben worden waren. Ihr schönes Vereinsheim lag wie der Rest der Republik in Trümmern, nur die massiv gebauten Kellerräume standen noch. Dort trafen sich auch Ende der 40er-Jahre die Arbeiter-Wassersportler noch und wieder, als Karl Heinz Bub und seine Kumpels zum Verein stießen. Was war aber von der ursprünglichen Idee des AWV geblieben? „Im Verein ging es wie im Arbeiter-Wassersport nach wie vor immer zuerst um die Gemeinschaft“, sagt Bub entschieden. Solidarisches Denken und Handeln habe das Vereinsleben und auch die jungen Mitglieder wie ihn und seine Freunde geprägt. Und auch politisch seien die alten Mitglieder nicht von ihren Überzeugungen abgerückt. „Das waren nach wie vor SPD-orientierte Leute.“ Trotzdem hatte das Verbot und die Enteignung zu Zeiten des Nationalsozialismus bei den Sportlern Spuren hinterlassen. Die Arbeitersportbewegung kam nicht mehr auf die Beine und auch beim AWV wollte man offenbar einen radikalen Neuanfang ohne politische Verortung. Zum 30-jährigen Vereinsbestehen 1953 soll die gerettete Fahne noch einmal gehisst worden sein, heißt es im Nachbericht zur Veranstaltung in der Offenbach-Post. Schließlich wich aber das Arbeiter A auf der Vereinsfahne dem Offenbacher O, der Verein zog in sein neues Zuhause nach Bürgel. Und der Arbeiter-Wassersport- Verein war endgültig Geschichte. happy job happy life

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