DAHEIM IM DRACHENLAND Der Tod ist nach der Geburt das zweitgrößte Lebensereignis. Trotzdem wollen wir lieber nichts von ihm wissen. Er würde uns aber längst nicht so kalt erwischen, würden wir uns mit ihm beschäftigen. So wie die Menschen, die ihm hauptberuflich ganz nahe sind. Als meine Mutter vor ein paar Jahren im Sterben lag, mussten meine Schwester und ich Google bemühen, um zu beurteilen, wie ernst es der Tod mit ihr und uns meinte. Wir gaben „finale Symptome des Sterbens“ ein und glichen die Ergebnisse mit dem Zustand unserer Mutter ab. Das war auf eine schreckliche Weise profan und hilflos und ich dachte, warum man so etwas nicht einfach weiß. So wie schließlich die meisten von uns auch die Symptome von Grippe oder Fußpilz kennen und außerdem ein paar Hausmittelchen, die vielleicht nicht heilen, aber doch erleichternd wirken. Dabei bekommt nicht mal jeder Fußpilz oder Grippe. Aber wir alle werden sterben. In jeder Sekunde segnen zwei Menschen auf diesem Planeten das Zeitliche. Also bereits acht, während Sie diesen Satz lesen und jetzt sind wir schon bei vierzehn. Es würde sich also unbedingt lohnen, etwas mehr zu erfahren über das, was früher oder später uns allen blüht. Auf eine Geburt bereitet man sich ja auch vor. Warum also ausgerechnet auf den Tod nicht? Vermutlich, weil wir hoffen, wenn wir uns wie Kinder die Augen zuhalten, wird er uns nicht passieren. Damit überlassen wir das Thema allerdings nur unseren Ängsten zur freien Gestaltung. So wie man auf alten europäischen Landkarten, die damals noch unerforschten Gebiete mit dem Vermerk „Hic sunt dracones“ versah – also mit dem Hinweis, „hier gibt es Drachen“. Dabei hilft es enorm beim Leben, dem Tod nahe zu kommen – ihn nicht auszublenden. Das ergaben nicht nur Studien mit Menschen, die Kontakt zu Sterbenden hatten. Das wissen auch jene zu berichten, die quasi im Drachenland hauptberuflich tätig sind. Von Constanze Kleis und Christof Jakob (Fotos) DIE TRAUERREDNERIN Beruflich begegnet ihr der Tod gleich mehrfach in der Woche. Wenn ich zu Familien komme, in denen gerade ein Angehöriger verstorben ist, zu Eltern, die ihr Kind verloren haben, Ehepartnern, die um ihre Liebe trauern, Angehörigen von Selbstmördern, Unfallopfern, viel zu früh Verstorbenen, aber auch von Menschen, die in hohem Alter nach einem erfüllten Leben gegangen sind. Das ist jeweils eine andere Trauerarbeit, eine andere Situation. Aber es ist immer ein Ausnahmezustand. Manchmal werde ich gefragt, wie ich all das Leid, die Trostlosigkeit aushalte. Zumal ich mich in meiner Aus bildung zur Trauerrednerin und Trauertherapeutin auf die so genannte „erschwerte Trauer“ spezialisiert habe, also auf Suizid, Gewaltverbrechen und auch Kindstod. Sicher ist das manchmal kaum zu ertragen. Aber es hilft mir, mir klarzumachen, dass es ja nicht meine persönliche Trauer ist, da ich in ein „fremdes“ Haus gehe. Somit gibt es einen gewissen Abstand. Das ermöglicht mir, die Trauer an mich heran-, aber nicht in mich hereinzulassen. Natürlich gibt es immer wieder auch Abschiede, die mir doch sehr nahe gehen. Ich erinnere mich an den für eine junge Frau. Nach meinen Schlussworten kam ihre vier jährige Tochter zu mir hinter das Rednerpult, nahm mich an die Hand und stellte sich gemeinsam mit mir vor den Sarg ihrer Mama. Da war es dann auch um meine Professionalität geschehen. Der Tod nimmt sich eine Menge heraus, wenn er kommt. Aber es funktioniert nicht, ihn zu ignorieren, um damit um die Trauer herumzukommen. Je früher wir uns mit der eigenen Endlichkeit auseinandersetzen, desto hilfreicher, umso entlastender kann es sein. Und man erfährt dabei auch mehr über das Leben. Ich sehe das wie Marie Curie, die sagte: „Nichts im Leben ist zu fürchten, es ist nur zu verstehen, damit wir weniger Angst haben.“ Mir macht der Tod keine Angst. Aber ich habe Respekt vor dem eventuell schweren Weg dorthin. Meine Er - fahrung mit dem Tod ist, dass er groß, gegensätzlich und verbindlich ist. Dass er erschreckend und grausam, aber auch ein Freund sein kann. Wenn Sterben etwa ersehnt und erlöst bedeutet. Britta Marlene Wolf, 53, kann man buchen unter www.stilvolle-trauerreden.de
PORTRÄT 36 | 37 DIE PALLIATIV MEDIZINERIN Was tut eine Palliativmedizinerin genau? Sie räumt erst mal ein Vorurteil aus der Welt: „Palliativmedizin ist keine Sterbemedizin. Gerade wenn es heißt ‚weitere Therapie zwecklos‘ gibt es zig höchst anspruchsvolle medizinische, aber psychologische, auch soziale Aufgaben zu bewältigen, um den Schwerstkranken mit ihren jeweiligen besonderen Symptomen gerecht zu werden, Lebensqualität zu bieten und zu bewahren.“ So Dr. Christiane Gog M. Sc. Sie ist Chefärztin und Leiterin der Klinik für Palliativmedizin am Sana Klinikum Offenbach. Neben der stationären Betreuung von Schwerstkranken ist sie mit ihrem Team auch für die ambulante palliative Versorgung von Stadt und Landkreis Offenbach mit einem Einzugsgebiet von ca. 500 000 Einwohnern verantwortlich. Sie sagt: „So verrückt es klingt, aber die Arbeit macht wirklich Freude.“ Man könnte kaum näher am „Puls des Lebens“ sein als dort, wo der Tod seine Muskeln spielen lässt. Denn gerade vor dem großen Schlusspunkt „findet noch so viel statt“. Ganz oft ist es eine große Erleichterung, wenn Patienten erfahren, dass ihre Angst vor einem qualvollen Sterben mit palliativmedizinischer Betreuung unbegründet ist. Dann die Freude, wenn Menschen – etwa aus sozial schwierigen Verhältnissen – das erste Mal in ihrem Leben überhaupt Zuwendung erfahren. „Wenn sie gewaschen werden, Massagen bekommen, wenn jemand für sorglich mit ihnen umgeht.“ Kleine Dinge wären dabei mindestens so erfüllend und sinnstiftend wie früher die, die man für die großen hielt. War es damals vielleicht ein Essen im Sternerestaurant, ist es heute ein auf der Station eigens zubereitetes Gericht aus Kindertagen. Oder das Eichhörnchen, das vor dem Fenster spielt, oder wenn Therapiehund Sissi ihren Kopf auf die Bettkante legt und gestreichelt werden will. Es sind die Gespräche mit den Therapeuten, die Erleichterung, wenn man sich vielleicht am Ende doch noch aussöhnt mit einem nahen Menschen, oder die Zeit im Snoozle-Raum – der Entspannungs-Oase auf der Station. Zwar tragen die Kassen dem erhöhten Bedarf der palliativmedizinischen Be treuung Rechnung. Aber längst nicht alles, was gerade in der letzten Lebensphase so bedeutsam wird, ist auch eingepreist. Dafür sammelt der Förderverein palliare.org Spenden. Die finanzieren unter anderem gerade den Bau einer Terrasse für die Station, damit sich die Schwerstkranken einfach in den Frühling setzen können anstatt ihn nur durchs Fenster betrachten zu können. Dr. Christiane Gog sagt, sie habe keine Angst vor dem Tod. Nicht nur, weil sie findet, dass sie bislang ein rundum schönes und erfüllendes Leben hatte. „Auch aus der Erfahrung, die ich bei meiner Arbeit täg lich mache: Dass unser Leben bis zum Ende lebenswert sein kann.“ Weitere Informationen unter: www.palliare.org
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