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MAINfeeling Frühling 2022

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DER SEELSORGER Rainer

DER SEELSORGER Rainer Frisch, Jahrgang 1948, arbeitete nach einigen Stationen – etwa als Kaplan am Frankfurter Dom, Gemeindepfarrer in Neu-Anspach oder Seelsorger an der Katholischen Hochschulgemeinde Frankfurt in der Klinikseelsorge. Zunächst an den Dr.Horst-Schmidt-Kliniken Wiesbaden und zuletzt an der Frankfurter Universitäts-Klinik. Schon als Ortspfarrer bin ich ständig mit dem Tod in Berührung gekommen. In der katholischen Kirche gibt es das Sakrament der Krankensalbung. Es ist auch ein Weg, Schwerkranke und ihre Angehörigen zu begleiten. Es ist zwar in erster Linie ein rituelles Begleiten, aber oft auch ein persönliches. Manchen genügte das Ritual. Aber andere sagten auch sehr deutlich, dass sie sich weitere Besuche wünschten. Später in der Klinik war ich natürlich nicht nur für Kirchenmitglieder da, sondern für alle, die das Angebot einer Seelsorge in Anspruch nehmen wollten. Ich hatte im Prinzip drei Zielgruppen: Patienten, Angehörige, Mitarbeiter. Trotz aller Schwere war die Pal liativstation meine Lieblingsstation. Es war wunderbar zu erleben, wie Menschen mit Hilfe der Palliativmedizin, die nicht mehr den Anspruch hat zu heilen, sondern den Patienten die letzte Lebensphase erträglich machen will, ganz oft noch mal eine neue Lebensqualität gewinnen konnten. Zu sehen, wie die Welt sich da wirklich auf das Krankenbett und vielleicht noch das Krankenzimmer zusammenzieht, wie sie klein wird und umgekehrt kleine Dinge ganz groß werden. Zum Beispiel der Blick durch das Fenster auf einen so sonnigen Tag wie heute. Das hat eine besondere Tiefe und Innigkeit und ist sehr, sehr berührend. Als Seelsorger ist man auch immer eine Art Cicerone – ein Fremdenführer durch ein unbekanntes Terrain. Der Umgang mit Sterben, Tod, Trauer ist ja nicht einfach gegeben. Viele stehen irritiert vor einer für sie verstörenden, befremdlichen Situation. Da finde ich es wichtig, den Abschied zu ermöglichen, zu thematisieren und zu vollziehen. Ich habe oft, wenn die letzten Atemzüge sich anbahnten, alle Angehörigen rausgebeten aus dem Zimmer und habe gesagt: „Jetzt kommt der Augenblick, der das Kostbarste im Leben ist: der Abschied. Sagen Sie dem Sterbenden, was Sie ihm noch sagen wollen.“ Und dann habe ich sie einzeln reingeschickt. Ich habe Angehörige oft dazu ermutigt, die Verstorbenen noch einmal zu berühren, um auch den Tod zu realisieren. Durch Anfassen, durch Anschauen. Auf diese Weise stellt man auch fest, wie einem der Verstorbene fremd wird, obwohl man doch einmal so vertraut war. Dann ist es auch gut, wenn er bestattet wird. So sehr ich die Segnungen der Palliativmedizin und der Hospizbewegung schätze. Ich sehe es auch kritisch, dass das Sterben damit auch in professionelle Hände abgegeben wird und man die Patienten letztlich auslagert. Aber klar, das hat auch mit dem Verlust familiärerer Bindungen zu tun. Die Zeiten sind einfach vorbei, in denen das Sterben ganz selbst verständlich in der Familie stattfand. Ich sehe es an mir. Ich bin Single und hatte vor zehn Jahren eine Krebserkrankung. Ich hatte acht Tage zwischen der Diagnose und der Operation. Die Zeit habe ich genutzt, um alles zu regeln: Testament, Patientenverfügung, Grabstelle. Heute sage ich: Ich möchte sterben zu einem Zeitpunkt, wo das Leben nur zur Last wird. In Ruhe und also begleitet.

PORTRÄT 38 | 39 Hat uns die Pandemie den Tod, das Sterben, nähergebracht, einfach, weil so viele Menschen betroffen waren und sind? Eher gab es auch da strenge Abstandsregelungen. Es waren nicht viele – aber die an oder mit Corona verstorben waren, mussten wir wegen der strengen Hygienevorschriften noch im Krankenhaus in Hüllen geben, sofort in den Sarg legen und direkt ins Kremato rium bringen. Das war schlimm, weil die Angehörigen keinen Abschied nehmen konnten. Alles zurück in die unseligen Zeiten, als man Menschen in Abstellkammern schob, um die Lebenden nicht mit dem Sterben zu behelligen? Es hat sich durchaus einiges gewandelt. Wenn wir früher einen Toten aus einem Altenheim abgeholt haben, wurden die Bewohner in ihre Zimmer geschickt. Wir durften auch nicht – wie jetzt – durch den Haupteingang ins Haus, sondern mussten durch den Keller laufen. Mittlerweile ist es sogar so, dass die Toten noch eine Weile in ihren Räumen bleiben, damit – wer mag – Abschied nehmen kann. DIE BESTATTERIN Nikolette Scheidler (66) – ist Trauerbegleiterin, Mediatorin und Ökonomin und leitet gemeinsam mit Sabine Kistner im Frankfurter Gallus das Bestattungsunternehmen Kistner + Scheidler. www.kistner-scheidler.de Manche möchten das vermutlich lieber nicht. Einige sagen dann ja: Ich will den oder die so in Erinnerung behalten, wie er oder sie war – im Leben – nicht im Tod … Unsere Empfehlung lautet da immer, sich die Verstorbenen noch einmal anzuschauen. Wir erleben oft, wie Angehörige total beruhigt sind, wenn sie sehen, wie entspannt und friedlich Menschen – selbst nach einem qualvollen Tod – im Sarg liegen. Wir sagen auch – und machen es als Ermutigung auch manchmal vor –, dass man den Leichnam noch einmal anfassen sollte. Tote Menschen sind kalt. So begreift man – im wahrsten Sinne des Wortes –, dass jemand wirklich nicht mehr da ist. Hat sich durch Ihre Arbeit Ihre Einstellung zum Tod verändert? Wie die meisten hätte ich vor allem Angst, mit Schmerzen und qualvoll zu sterben. Aber seit es die Palliativmedizin gibt, mit Ärzten, die auf Schmerztherapie spezialisiert sind, finde ich den Gedanken an den Tod nicht mehr so beängstigend. Wie viel Vorbereitung braucht der Tod? Ich finde wichtig, dass man kundtut, ob man eine Erd- oder Feuerbestattung möchte und wo man beerdigt sein will. Alles andere – was zum Beispiel die Gestaltung der Trauerfeier anbelangt – würde ich den Hinterbliebenen überlassen. Sie ist ja auch vor allem für sie gedacht. Was planen Sie: Erde oder Feuer? Für mich unbedingt Erde. Ich finde Feuer einfach zu brachial und möchte nicht in so einer kleinen Urne enden. Mich tröstet der Gedanke, organisch zu verrotten. Meine Kollegin Sabine Kistner favorisiert übrigens die Feuerbestattung.