KAMPF FÜR DIE FREIHEIT 175 JAHRE IST ES HER, DASS IN DER FRANKFURTER PAULSKIRCHE INSGESAMT 585 GEWÄHLTE ABGEORDNETE ZUSAMMENKAMEN, UM EINE FREIHEITLICHE VERFASSUNG FÜR EIN EINHEITLICHES DEUTSCHLAND ZU BESCHLIESSEN. DIE LUST AN DER POLITISCHEN PARTIZIPATION WAR IN ALLEN FÜRSTENTÜMERN GROSS DAMALS, AUCH IM RHEIN-MAIN-GEBIET. Von Sabine Börchers Illustration: AdobeStock stockphoto-graf
STORY 22 | 23 Um 4 Uhr ward unter Glockengeläute und Kanonendonner das Parlament eröffnet. Die Herrn zogen, etwa 400 an der Zahl, feierlich in die Paulskirche, die vier Alterspräsidenten voran. Eine bedeutungsvolle Stunde!“ Das schreibt Clotilde Koch, Ehefrau des damaligen englischen Konsuls, die 1848 in ihrem Haus einen Salon führte und sehr an der Politik interessiert war, am 18. Mai in ihr Parlamentstagebuch. Bedeutungsvoll war diese Stunde nicht nur für Frankfurt. Erstmals sollte die Nationalversammlung das in 34 Fürstentümer und vier freie Städte zersplitterte Land unter eine einheitliche Verfassung stellen und ein, wenn auch zunächst provisorisches, Staatsoberhaupt wählen. Dafür waren die frei gewählten Abgeordneten aus allen Fürstentürmer in die Paulskirche gekommen. Damit die gut ausgebildeten Herren, zumeist Juristen, Schriftsteller, Journalisten, Ärzte, Fabrikanten und Geistliche – Frauen waren nur als Zuschauerinnen auf der sogenannten „Damengalerie“ zugelassen –, sich aber ganz legal ihre Wortgefechte liefern konnten, musste zunächst der Druck auf die Fürsten groß genug sein, den freien Wahlen und der Errichtung eines Parlaments in der Paulskirche überhaupt zuzustimmen. Das Verlangen nach mehr Rechten war zu dieser Zeit groß bei den Menschen. Die Februarrevolution 1848 in Frankreich, die zur Absetzung des dortigen Königs führte, wirkte wie ein Zündfunke, der sie zu Tausenden auf die Straße brachte. Der Kampf um Freiheitsrechte konnte nur gelingen, weil er breite Bevölkerungsschichten auch im Rhein-Main-Gebiet ergriff, die durchaus nicht nur mit Worten fochten und dabei große Gefahren eingingen. Denn mit der Lust an der Partizipation war zu dieser Zeit sehr häufig verbunden, dass man die eigene Existenz und sogar das eigene Leben aufs Spiel setzte. BAUERN ZIEHEN MIT SENSEN UND MISTGABELN IN DIE STADT Dabei kämpften die Menschen aus ganz unterschiedlichen Motiven: Die zunehmende Industrialisierung hatte zu Umbrüchen in der Gesellschaft geführt. Unter den Fabrikbesitzern gab es immer mehr wohlhabende Unternehmer, aber es entstand auch die stark ausgebeutete Arbeiterklasse ohne Rechte. Handwerker wiederum verloren durch sie ihre Arbeit und fürchteten den sozialen Abstieg. Die Mainschiffer etwa sahen sich durch Dampfschiffe bedroht, die die Fahrgäste und Güter nicht nur schneller, sondern auch mainaufwärts befördern konnten. Sie zogen daher am Faschingsdienstag, dem 7. März 1848, zum Beispiel in Aschaffenburg zur Landungsbrücke und versuchten, diese zu zerstören. An anderen Orten wurden Fabriken das Ziel der Aufstände. Unternehmer wie etwa Daniel Ernst Müller, der die familieneigene Steingutfabrik in Damm – heute ein Stadtteil, damals ein Dorf bei Aschaffenburg – geerbt hatte, forderten mehr Mitbestimmung. Die von Missernten und Hungersnöten gebeutelten Bauern des Dorfes zogen dagegen am selben Tag mit Sensen und
Laden...
Laden...
Laden...