Zusammen: Regisseur Simon Verhoeven, Backgroundsängerin Linda Rocco und Sänger Brad Howell. Die Frankfurt-Premiere seines neuesten Filmes „Girl You Know It’s True“ im Cinema am Roßmarkt brachte sie alle noch einmal zusammen: Brad Howell, einen der Originalsänger, die einst Milli Vanilli in Frank Farians Studio in Rosbach bei Friedberg ihre Stimmen liehen. Die Backgroundsängerin Linda Rocco, aber auch DJs wie Michael Hohmann aus der Frankfurter Diskothek Funkadelic, die den Song „Girl You Know It’s True“ einst entdeckten, Musiker, Toningenieure und Wegbegleiter von Farian, der wenige Wochen nach der Premiere mit 82 Jahren in seiner Wahlheimat Miami verstarb. Simon Verhoeven stand mittendrin und begrüßte sie alle persönlich. Er hat für seinen Film über das Duo, das in den 1980er- Jahren mit drei Nummer-1-Hits in den USA Popgeschichte schrieb und zugleich ihren größten Skandal verursachte, akribisch recherchiert und mit allen gesprochen, die er erreichen konnte. Sogar Farians Studio in der hessischen Provinz hat er für den Film eins zu eins in biederster Holzoptik nachbauen lassen. Den Produzenten selbst erreichte er per Video-Chat in Miami. „Wir haben viel miteinander gesprochen. Er fand seine Darstellung okay und hat sich positiv über den Film geäußert.“ EIN TEUFLISCHER PAKT Sonst eher für intelligente Komödien wie „Willkommen bei den Hartmanns“ bekannt, widmete sich Simon Verhoeven diesmal einer ernsthafteren und vor allem realen Geschichte. Dass er als Münchner Filmemacher tief ins Hessische eingetaucht ist, zeigt seine Gründlichkeit, mit der er den Stoff erarbeitet hat – und seine Begeisterung für diesen. In seiner Jugend hatte der Sohn des Regisseurs Michael Verhoeven und der Schauspielerin Senta Berger die Tänzer Rob Pilatus und Fabrice Morvan in der Münchner Diskothek P1 selbst erlebt. „Es waren kleine Lokalhelden. Meine Freundin kannte sie ganz gut, wir wussten, dass sie nicht singen konnten.“ Ab 1991 studierte Verhoeven Schauspiel in den USA und erlebte die beiden dort plötzlich als Superstars. Als Regisseur habe ihn diese Geschichte gereizt, sagt er. Sie habe alles, was einen guten Film ausmacht – einen teuflischen Pakt, einen kometenhaften Aufstieg und den tiefen Fall. „Dazu kommen noch die Machtkämpfe hinter den Kulissen, der ikonische Look der beiden, die berührende Freundschaftsgeschichte und die Gute-Laune-Musik.“ Schon als 18-Jähriger hatte er davon geträumt, daraus einen Film zu machen. Doch so einfach war das nicht. „Selbst Hollywood hat versucht, die Rechte an der Musik zu bekommen, und ich hatte immer erwartet, dass die den Film machen“, erzählt er. Doch Verhoevens Produzent war hartnäckiger. 2018 hatte er endlich die Rechte aller Songs zusammen, die nicht nur bei Frank Farian lagen, sondern beispielsweise auch bei Kevin Liles von der DJ-Crew Numarx aus Baltimore, der „Girl You Know It’s True“ einst geschrieben hat und der jetzt den Film mitproduzierte. Danach dauerte es noch einmal drei Jahre, bis Simon Verhoeven das Drehbuch verfasst hatte. „Die Verantwortung war groß, weil es ja um echte Menschen geht. Mir war es wichtig, dass man Frank Farian nicht als Bösewicht wahrnimmt, und zu zeigen, dass die Verantwortung für den Absturz auf vielen Schultern lag und dass die beiden Jungs auch die Opfer waren, die sich im Rausch des Erfolgs verloren haben.“ NICHTS DEM ZUFALL ÜBERLASSEN Der Erfolg des Films gibt ihm recht. Für ihn, der ab April auf Amazon Prime als Kaufvideo zu finden ist, erhielt Verhoeven vor kurzem den Bayerischen Filmpreis in der Kategorie „Bester Film“ sowie seine beiden Hauptdarsteller einen weiteren als beste Nachwuchsdarsteller. „Schauspiel und Choreografie, Sound, Rhythmus, Szenenbild, Kamera und vieles mehr sind so perfekt aufeinander abgestimmt, dass wir Zuschauer in einen Sog voller Leidenschaft geraten. Hier wurde nichts dem Zufall überlassen, sondern eine komplexe und auch vielschichtig angelegte Geschichte auf allen Ebenen bis ins Detail durchdacht und vorbereitet“, lobte die Jury zur großen Freude des Regisseurs. Vorausgesehen hat Verhoeven den Erfolg trotzdem nicht. Der Stoff sei ja schon ein wenig alt und er sei nicht sicher gewesen, ob er mit der 1980er-Jahre-Musik junge Leute ansprechen würde, selbst wenn das Thema Ruhm und Authentizität in unserer Welt der sozialen Medien
STORY 30 | 31 durchaus aktuell ist. „Aber ich mache in erster Linie Filme, die ich selbst gerne sehen würde“, stellt er fest. Auch bei seinem Projekt „Willkommen bei den Hartmanns“, einem seiner größten Erfolge, hätten ihm vorab alle davon abgeraten. Ein so ernstes Thema könne man nicht als Komödie umsetzen, lauteten die Bedenken. Verhoeven machte es trotzdem. FUSSBALL & FILMMUSIK MÄNNERHERZEN Das Vertrauen in sich selbst dürfte er auch dem Fußball verdanken. Bis zu seinem 17. Lebensjahr spielte er als Stürmer in der höchsten Jugendklasse für den TSV 1860 München. Er habe dabei viel fürs Leben und für seinen Beruf gelernt, sagt er heute. „Wenn ich mir da zu viele Gedanken gemacht habe, kam nie eine gute Ecke raus. Man muss dem Moment vertrauen und in den Flow kommen.“ Eine schwere Verletzung, die seine Fußballerkarriere schließlich beendete, lehrte ihn, sich nach dem Fall wieder aufzurappeln. Immerhin verhalfen ihm seine Fußballkenntnisse 2003 zur Rolle als Ottmar Walter in Sönke Wortmanns Film „Das Wunder von Bern“. Bereits vorher stand er für Fernsehfilme und Serien zunächst vor der Kamera. 2002 sogar in der von seinem Vater gedrehten ZDF-Serie „Die schnelle Gerdi“ mit seiner Mutter in der Titelrolle. Auf die Frage, warum er zunächst als Schauspieler angefangen habe, hat er eine klare Antwort parat: „Weil ich Geld verdienen musste. Ich wollte immer hinter die Kamera, aber es ist schwer, dahin zu kommen.“ Doch bereits mit seiner Regiepremiere, dem Spielfilm „100 Pro“, wurde er für den Förderpreis Deutscher Film nominiert. Die darauffolgende Komödie „Männerherzen“ erreichte schon zwei Millionen Zuschauer. Und sie zeigte zugleich, dass der Münchner noch auf einem weiteren Gebiet talentiert ist: Einen großen Teil der Filmmusik, auch den Song aus der Fortsetzung der Männerherzen „Die ganz, ganz große Liebe“ komponierte Simon Verhoeven selbst. Während seiner Zeit in New York hatte er Jazz-Komposition und ein Semester lang Filmmusik studiert. Bis heute steuert er gerne Songs zu seinen Filmen bei: „Es ist ein Spaß, den ich mir gerne mache“, wie er sagt. Auch für den Milli-Vanilli-Film produzierte er einen der Songs. Für mehr habe die Zeit nicht ausgereicht. „Für die Zusammenarbeit mit den Filmmusikern ist es aber ein Vorteil. Ich bin immer ein guter Partner für sie, da wir eine Sprache sprechen. Ich möchte sie jedoch nicht bevormunden.“ FAMILIENMENSCH Die Liste der Filmpreise, die Verhoeven in den vergangenen 15 Jahren für gerade mal vier Filme einstrich, ist beeindruckend lang und reicht vom European Union Film Festival in Toronto bis zum Deutschen Filmpreis. In einer Familie, die im Filmbusiness so erfolgreich ist wie seine, dürfte ihm der Start leichter gefallen sein als anderen. Dennoch hatte er anfangs damit zu kämpfen, nur als Sohn seiner berühmten Eltern gesehen zu werden. „Als 20-Jähriger war das nicht schön, immer nach den Eltern gefragt zu werden, und man hat selber gar nichts geschaffen.“ Heute liegt das längst hinter ihm und er spricht gerne über sie. Ein Familienmensch ist er ohnehin und dreht am liebsten in München, um bei seiner Frau und seinen zwei Söhnen sein zu können. Der Älteste hat mit seinen 13 Jahren sogar als junger Frank Farian in einer Szene des Films mitgespielt. Als Hommage an seine Mutter Senta Berger zeigt Verhoeven im Film außerdem eine Fotowand mit Bildern von ihr und einigen Stars aus Hollywood, wo sie einst gedreht hat. Seine Produktionsfirma, mit der er Stoffe wie „Girl You Know It’s True“ entwickelt, trägt den Namen Sentana und wurde einst von seinen Eltern gegründet. Dort ist er längst mit weiteren Stoffen beschäftigt. Der mit dem tragischen Tod von Rob Pilatus in einem Hotel in Friedrichsdorf im Taunus endende Milli-Vanilli-Film ist für ihn abgeschlossen. „Es war eine unglaublich schöne Zeitreise“, sagt er rückblickend. Im Juni steht er bereits für das nächste Projekt hinter der Kamera. Diesmal soll es wieder eine Komödie werden, erneut mit einem aktuellen Thema, wie der Titel unschwer erkennen lässt. Denn der lautet: „Alter Weißer Mann“. „Es geht um das Minenfeld, in dem wir uns heute bewegen, wenn wir versuchen, das Richtige zu sagen. Das ist ein schöner Stoff für eine Komödie, finde ich“, stellt Simon Verhoeven fest. Vermutlich dürften ihm auch davon wieder viele abraten. Es gehe aber nicht darum, irgendjemandem zu gefallen, betont er. „Ich teile in alle Richtungen aus.“ Ausgezeichnet: Simon Verhoeven brachte einen Teil der Discopopgeschichte des Rhein- Main-Gebiets auf die Leinwand.
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