nichts.“ Mehr als 100 Arbeiten hat sie bereits geschaffen. Gezählt hat sie sie nie. Genau weiß sie die Zahl erst, wenn ihre Tochter Anja, die als Professorin in Brasilien lebt, demnächst das Werkverzeichnis fertiggestellt hat. ANGEFANGEN HAT SIE ALS BÜHNENBILDNERIN Ursprünglich kommt Wanda Pratschke von der Malerei. Sie lernte Bühnenbild an der Meisterschule für das Kunsthandwerk in ihrer Heimat Berlin. Dort setzte sie sich in der direkten Art, die den Berlinern zugeschrieben wird, durch und wurde ohne Aufnahmeprüfung angenommen. „Die haben mich erkannt und mein Potenzial.“ 1961 kam sie nach Frankfurt, als Assistentin von Franz Mertz an den Städtischen Bühnen. Ab 1976 studierte sie dreieinhalb Jahre lang als Gast an der Städelschule. Parallel dazu zog sie ihre beiden Töchter groß. Wieder eine Zeit des Durchhaltens und der Disziplin. Schon vorher verkaufte sie ihr erstes Bild an die Stadt Frankfurt. Sie hatte es im Kunstverein ausgestellt. Es war eine große grüne Landschaft in Temperafarben, erinnert sie sich. „Heute hängt es bei den Grünen, vermutlich wegen der Farbe.“ Bekannt geworden ist die Bildhauerin, die 2019 mit einer Ausstellung im Kunstverein Familie Montez ihren 80. Geburtstag gefeiert hat, aber für ihre oftmals voluminösen bronzenen Frauenfiguren. Mal stehend, mal sitzend, mal liegend thematisieren sie die weibliche Gestalt, nicht in einstudierten Posen, sondern spontan eingefangen, sich selbstbewusst bewegend. Einige ihrer Werke sind im Rhein-Main-Gebiet öffentlich ausgestellt, ihre „Schöne“ steht im Terminal I des Frankfurter Flughafens, ihre „4 Frauen“ sitzen im Terminal II beisammen. Ihre „Betty“, die erste Figur, die sie gestaltete, steht in den Wallanlagen. Eine weitere Skulptur hat sie erst kürzlich fertiggestellt. Die „Unbesiegbare“, überlebensgroß und mehrere Tonnen schwer, ist dank einiger Sponsoren seit Januar auf dem Gelände des Campus Westend der Goethe-Universität, nahe des Theodor-W.-Adorno-Platzes, öffentlich zu sehen. Wanda Pratschke arbeitete in ihrem Atelier an dem Gipsmodell, als draußen das Coronavirus das Leben und auch die Kunstwelt lahmlegte. „Jeden Tag war ich glücklich, dass ich was machen konnte“, sagt sie heute. Mit ihrer stolzen Haltung steht die Figur daher auch ein wenig für die Künstlerin, die sich seit mehr als 40 Jahren als Einzelkämpferin auf dem Kunstmarkt behaup- Die kleine in Blau gefasste Queen dient ihr als Anschauungsobjekt.
PORTRÄT 24 | 25 tet. Sie habe an der Städelschule nie einen Lehrer gehabt, der sie aufbaute, sagt sie. „Ich war namenlos.“ Heute genießt sie die Freiheit, tun zu können, was ihre Inspiration ihr eingibt, und sich immer wieder neu zu erfinden. Vielleicht sogar zur Malerei zurückzukehren, wie sie derzeit überlegt. Von einem Aufenthalt in Brasilien, wo sie als Artist in Residence zwei Wochen in einem Kloster arbeitete, hat sie viele Bleistiftzeichnungen mitgebracht, die sie demnächst ausstellen möchte. „Ich bin froh, dass ich aus eigenen Verkäufen meine Werke finanzieren kann.“ Bei den hohen Herstellungskosten für eine Bronze ist das eine nicht zu unterschätzende Anstrengung. Deshalb würde sie die „Unbesiegbare“ gerne noch ein weiteres Mal gießen lassen, bevor sie die Form zerstört. „Mein Wunsch wäre es, dass sie nach Berlin kommt, in die Hessische Landesvertretung.“ IHRE FRAUENFIGUREN SOLLEN ZEITLOS WIRKEN Stillleben mit Beil und Bleistiftskizze Die Idee zu der Figur, die sich im Liegen verdreht und selbstbewusst den Kopf nach oben reckt, entstand 2010 in den Berliner Bildhauerwerkstätten, in denen sie sich zwei Monate lang fortbildete. Dort lernte sie mit Gips zu arbeiten, nachdem sie zuvor ihre Figuren vor allem in Ton modellierte. In Ton mache sie heute nur noch kleinere Arbeiten, für die Großen sei Gips geeigneter. „Ich habe für den Ton vorher zum Beispiel eine Machete aus Brasilien genutzt, um Teile abzuschneiden. Das war ein Kraftakt.“ Wie in vielen Skulpturen des 20. Jahrhunderts, ist es auch Wanda Pratschke wichtig, dass der Arbeitsprozess in ihren Werken sichtbar bleibt. Anders als ihre fast lebensgroße „Anja“ im Atelier, die sie noch an der Städelschule nach dem Vorbild ihrer Tochter sehr akademisch mit glatten Konturen schuf, wirken ihre Frauen heute mit ihrer rauen, zerklüfteten Oberfläche unfertig, verletzlich, aber auch zugänglicher, als könnte man ihnen unter die Haut schauen. Zwar nutzt Wanda Pratschke nach wie vor Modelle, nach denen sie die Form ihrer Frauen gestaltet – derzeit arbeitet sie parallel zur Queen an einer zwei Meter hohen Skulptur ihrer Enkelin Alma, die in Brasilien lebt und ihr ab und zu online am Computer Modell steht – doch sie bildet nicht mehr die eine Frau ab. Vielmehr verfremdet sie die Figuren und lässt sie allgemeingültig wirken. Als „zeitlos“ möchte Wanda Pratschke ihre Werke verstanden wissen. Ikonisch eben, so wie die Queen. Mit dem Beil schlägt Wanda Pratschke Teile ihrer Skulptur wieder ab, die ihr nicht gefallen. DIALOG MIT DER QUEEN DURCH HINZUFÜGEN UND ENTFERNEN Doch ein wenig autobiografisch ist auch dieses Werk, gibt die Bildhauerin schließlich zu. Die Kontinuität, die Disziplin, mit der diese die Dinge angefasst und stets abgeschlossen hat, die sieht sie auch bei sich selbst. Die Fähigkeit zu beobachten, teile sie ebenfalls mit ihr, und den trockenen Humor. „Eben die guten Eigenschaften der Queen.“ Ein Stück der Wertschätzung, die der Königin zuteilwurde, wünscht sich Wanda Pratschke auch als Künstlerin. Deshalb hofft sie darauf, dass es in einigen Jahren eine Museumsausstellung ihrer Werke geben wird, am liebsten im Museum für Moderne Kunst. Einige große Werke könnte sie dafür noch einmal gießen lassen, die Silikonformen seien noch vorhanden. „Bis zu meinem 88. Geburtstag bin ich also noch gefordert“, sagt sie. In Gedanken ist sie dabei aber schon wieder bei ihrer unfertigen Queen, die in einer solchen Ausstellung sicher ebenfalls Platz fände. Sie hat während des Gesprächs längst weitere Stellen ausgemacht, an denen sie ansetzen und den Dialog mit ihr fortsetzen möchte.
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