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MAINfeeling Sommer 2022

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Dünnsein ist ein

Dünnsein ist ein Produkt und wo ein Produkt ist, geht es ums Geld. Und wo es um Geld geht, da darf die sehr große Karotte vor unserer Nase niemals erreichbar sein, weil wir für die Verheißung auf eine Lösung sonst nichts mehr ausgeben würden. Das wissen Tinder & Co. Das weiß die Diätindustrie. Allein für das Jahr 2020 kam sie so geschätzt weltweit auf einen Umsatz von 423 Milliarden Dollar. Und dann gibt es da noch diese Theorie von Naomi Wolf. Sie schreibt, dass es doch bemerkenswert sei, wie immer dann in der Geschichte, wenn Frauen besonders – vielleicht zu emanzipiert waren, die Models – die Inkarnationen von Schönheit – immer dünner und durchscheinender wurden. WAS TUE ICH DA EIGENTLICH? FÜR WEN? WARUM? Kurz: Je erfolgreicher die Frauen, desto schmaler die Form, in die sie sich zwängen sollen. Wolf glaubt, Frauen hätten unbewusst Schuldgefühle wegen ihres Erfolges und ihrer Selbstständigkeit. Sie fürchteten, vielleicht zu weit gegangen zu sein. Und so sei die Sehnsucht nach dem Dünnsein eine Art Nabelschnur, die einen mit traditionellen Rollenmustern verbindet. Nach der Devise: Lieber ein bekanntes Unglück, als ein unbekanntes Glück, – hätten die Frauen die Gefangenschaft in der Küche durch das Gefangensein in einem unerreichbaren Ideal ersetzt. Ganz so, als wäre man nicht ganz Frau, wenn man nicht an einer furchtbaren Last zu tragen hätte. Es wäre ein Anfang, sich einmal zu überlegen: Was tue ich da eigentlich? Für wen? Warum? Und vor allem: Mit dem aufzuhören, was die britische Aktivistin Vicki Swinden „Fettismus“ nennt. Diskriminierende Zuschreibungen aufgrund von äußeren Merkmalen, analog zur Rassismus-Debatte. Und die betrifft vor allem Frauen. Männer benötigen erst mal einen BMI ab 35, so eine amerikanische Studie, um sich für solcherlei Häme überhaupt zu qualifizieren. Frauen werden dagegen genügt schon ein BMI ab 27, um mit ähnlicher Anteilnahme betrachtet zu werden wie eine Hochschwangere, die sich gerade eine Heroin-Nadel setzt. So wie Melanie Bahlke es ständig erfährt. Sie hat sich von der Hoffnung, jemals schlank sein zu können, getrennt. „Ich mag meinen Körper nicht“, sagt sie. „Aber ich mag, wie ich bin.“ Sie wünscht sich, alle könnten sie so sehen. Nicht als Dicke, sondern als jemand, der noch unendlich viel mehr ist, als sein Body-Mass-Index. So erzählt sie, wie sie am Frankfurter Flughafen einmal vom Mobilitätsservice in einem gesonderten Bereich „geparkt“ wurde, bevor sie an Bord gehen konnte. „Ich dachte, das sei die Behindertenwartezone und fragte den Mann, der dort saß, ob er auch eine ‚disabled person‘ sei.“ Es stellte sich heraus, dass sie in der VIP-Lounge war und gerade Christian Bale angesprochen hatte. „Der hat sehr gelacht und dann haben wir über Corona, über Hamsterkäufe, über Toilettenpapier, über alles Mögliche gesprochen. In einem Interview hat er mal gesagt, er hatte noch nie einen so lustigen Aufenthalt wie in Frankfurt. Das war schön, weil ich da einfach mal Mensch gewesen bin.“ Das relevante Geschehen in Ihrer Region für Sie im Blick. Jetzt kostenlos abonnieren: faz.net/metropol F.A.Z. Metropol: das Wirtschaftsmagazin für Entscheider in der Region Rhein-Main. · Ihr Überblick über die relevanten wirtschaftspolitischen Entwicklungen, Hintergründe und Trends in Rhein-Main. · Wertvolle Orientierung und Impulse zur regionalen Unternehmenswelt dank vertiefenden Hintergründen und exklusiven Einblicken. · Neues in der Metropolregion entdecken mit Empfehlungen für Kultur und Freizeit. QR-Code scannen oder kostenlos abonnieren unter faz.net/metropol

STORY 18 | 19 ES BRAUCHT ZEIT UND INNERE ARBEIT... INTERVIEW MIT JOCELYNE REICH-SOUFFLET. DIE ERNÄHRUNGS PSYCHOLOGIN UNTERHÄLT IN FRANKFURT EINE PRAXIS FÜR ERNÄHRUNGSTHERAPIE UND ERNÄHRUNGSPSYCHOLOGIE, FÜHRT ERNÄHRUNGS- SEMINARE DURCH UND HAT U.A. AN DER DEUTSCHEN AKADEMIE FÜR ERNÄHRUNGSMEDIZIN GELEHRT. (https://www.reich-soufflet.de) DANN SUCHE ICH AUF EWIG NÄHE UND VER- BUNDENHEIT IN NAHRUNG? Und Trost. Essen beruhigt. Es ist zuverlässig. Ich fühle mich sicher mit ihm. Anders als vielleicht in Beziehungen. Und ich bleibe vermeintlich in meiner Autonomie. Essen trennt sich nicht. Es ist immer da. Aber es eröffnet auch einen Teufelskreis: Die Beschäftigung mit Essen und mit dem Körper wird zu einem abgeschlossenen Kreislauf, aus dem ich kaum noch herausfinde. Ich habe Angst, loszulassen, weil ich fürchte, dass da gar nichts mehr ist. Jocelyne Reich-Soufflet Praxis für Ernährungstherapie & Ernährungspsychologie Frankfurt am Main WARUM MACHT UNS GERADE SO ETWAS SCHÖNES WIE ESSEN SO GROSSE PROBLEME? Nahrung und Hautkontakte sind die erste Begegnung in unserem Leben. In der Regel mit der Mutter. Das Kind bekommt dann zur Beruhigung ein Übergangsobjekt, zum Beispiel einen Schnuller. Übergangsphänomene sind auch Daumenlutschen, Teddys, Stofffetzen. Das dient der Affektregulation, dem Umgang mit negativen Emotionen und der Abwehr von Trennungsängsten. Dieses Übergangsobjekt spendet Trost. Irgendwann müssen wir es verabschieden. Aber das gelingt nicht immer. Dann kann das Essen zum Übergangsobjekt werden. WELCHE ROLLE SPIELEN SCHÖNHEITSIDEALE? Ich denke, sie spielen eine große Rolle. Ich glaube auch, dass wir alle eine bestimmte Wirkung im Außen erzielen wollen. Wir wollen gefallen. Aber ich glaube auch: Wer von klein auf in seiner Selbstwahrnehmung gestärkt wird, der hat ein deutlich geringeres Risiko für eine Essstörung. WIE SIEHT SO EINE FRÜHE IMMUNISIERUNG AUS? Es beginnt damit, sich im Auge der Eltern als passend erleben zu können. Umgekehrt: Wenn der kleine Sohn sich mit dem Vater identifiziert, der aber daheim immer als zu dick gehänselt wird, ist das eher ein Grundstein für Verunsicherung. ES IST ZUVERLÄSSIG. ICH FÜHLE MICH SICHER MIT IHM. ANDERS ALS VIELLEICHT IN BEZIEHUNGEN. WO IST DANN DER PUNKT, WO MAN SAGEN KANN ODER MUSS: ICH HABE EIN ESS-PROB- LEM? LÄSST SICH DAS IRGENDWIE MESSEN? IN KILO? Es gibt zweifelsohne von medizinischer Seite Grenzwerte. Die gab es schon immer. Aber wenn ein