ER IST KUNSTHISTORIKER, COMEDIAN, FREESTYLE-RAPPER – AUF DER BÜHNE BRINGT JAKOB SCHWERDTFEGER SEINE TALENTE ZUSAMMEN UND ZUGLEICH NEUEN SCHWUNG IN DIE KUNSTBETRACHTUNG. JETZT HAT ER DAZU EIN BUCH GESCHRIEBEN. Von Sabine Börchers und Jonas Ratermann (Fotos) Ohne Rubens gäbe es keinen Rocky und keinen Rambo.“ Solche Sätze sind es, mit denen Jakob Schwerdtfeger sein Publikum verblüfft. Der Kunsthistoriker erzählt leidenschaftlich gerne Geschichten, so wie die des Action-Helden Sylvester Stallone, der mit 12 Jahren das Bild „Der gefesselte Prometheus“ von Peter Paul Rubens gesehen und daraufhin begonnen haben soll, Krafttraining zu machen. Seit einigen Jahren steht Schwerdtfeger mit solchen Kunstgeschichten auf der Bühne – vor großem Publikum. Kunstcomedy nennt er das Genre, in dem er durch Deutschland tourt und das unterhalten, aber zugleich viel Wissen vermitteln soll. Für ihn selbst ist es die Zusammenführung seiner unterschiedlichen Talente und der vielbeschworene Sprung ins kalte Wasser. Denn Jakob Schwerdtfeger hat dafür seine feste Anstellung an einem der renommierten Kunstmuseen des Landes aufgegeben, am Frankfurter Städel. MIT EINER SEXUALTHERAPEUTIN BETRACHTET ER SITTENGEMÄLDE Wenn er heute in das Haus am Mainufer kommt, nimmt die Aufsicht am Eingang ihn herzlich in den Arm. Überall trifft er auf ehemalige Kollegen. Mehr als zehn Jahre lang arbeitete der heute 35-Jährige am Städel Museum, zunächst während des Studiums knapp vier Jahre lang als Aushilfe bei Felix Krämer, Sammlungsleiter für die Kunst der Moderne, dann machte er Führungen und anschließend war er vier Jahre lang in der Kunstpädagogik angestellt. „Ich habe hauptsächlich an digitalen Projekten mitgearbeitet, wie einem Computerspiel für Kinder und an drei Digitorials“, erzählt Schwerdtfeger. Für jede dieser digitalen Einführungen in die Ausstellungen am Haus war das Städel für den Grimme Online Award nominiert. Für das Digitorial über Claude Monet gewann es den Preis. „Wir waren einfach Vorreiter auf dem Gebiet. Es ging immer darum, wie mache ich Kunst spielbar, so dass auch Laien Lust darauf haben.“
PORTRÄT 30 | 31 Kunstvermittler ist Jakob Schwerdtfeger auf der Bühne nach wie vor. Und nicht nur dort. Er produziert regelmäßig Kurzvideos über Kunst auf Instagram, Youtube und TikTok, die millionenfach geklickt werden. Für ARD Kultur geht er im Format „Ich sehe was, was du nicht siehst“ mit einem Bestatter, einer Ärztin und einer Sexualpädagogin ins Museum, um sich eine Beerdigungsszene, einen Renoir und ein flämisches Sittengemälde anzuschauen. Für den Kunstpalast Düsseldorf moderiert er die Videoreihe „Kunstklick“ und für die Staatliche Kunsthalle Karlsruhe den Podcast „Kunstsnack“. Was wie Häppchen klingt, ist bei ihm durchaus fundiert. Wer mit Jakob Schwerdtfeger durch das Städel Museum läuft, spürt sofort seine Leidenschaft für die Werke an den Wänden, etwa, wenn er bei der „Woge“ von Gustave Courbet stehenbleibt, auf die ausdrucksvoll gestaltete Gischt zeigt und darauf hinweist, dass Courbet der Erste war, der mit dem Malermesser gemalt hat. Oder wenn er in der Alpenlandschaft von Giovanni Segantini auf die kaum zu erkennenden Schafe und den Hirten aufmerksam macht: „Die habe ich während meiner Arbeit hier sieben Jahre lang nicht gesehen und erst kürzlich entdeckt.“ Jakob Schwerdtfegers Buch erscheint am 14. September. MIT GANGSTA-RAP AUF DEN OHREN INS BÜRO Der Blick fürs Detail liegt bei ihm in der Familie. Sein Urgroßvater sei Bauhausschüler gewesen, erzählt er. „Mein Opa war Architekt und Künstler, er hat abstrakt gemalt und mich immer zum Malen animiert.“ Seine Eltern besuchten mit ihm regelmäßig Ausstellungen. Als 15-Jähriger sei er in Amsterdam schließlich ganz alleine ins Van Gogh Museum gegangen. „Ich habe mich ganz lange vor ein Bild hingestellt, so wie ich es bei Erwachsenen gesehen hatte.“ Dabei habe er die unterschiedlichen Malweisen van Goghs entdeckt, die seine Bilder so lebendig wirken lassen. „Ich habe plötzlich begriffen, dass Kunst die Möglichkeit hat, Sachen anders darzustellen, als sie sind, dass sich dahinter eine neue Welt öffnet.“ Eine völlig andere Welt betritt Jakob Schwerdtfeger, wenn er als Freestyle-Rapper auf der Bühne steht. „Ich habe schon in meiner Jugend Rap gehört und fand das Spiel mit Sprache toll.“ Auch die Extreme reizen ihn offenbar, denn bis heute hört er gerne Gangsta-Rap, etwa vom Offenbacher Rapper Haftbefehl, und ging mit der durchaus gewaltverherrlichenden Musik auf den Ohren auch ins Büro im Städel. Mit 16 nahm er selbst an Rap-Battles teil, bei denen sich die Teilnehmer auf der Bühne einen Kampf mit Worten liefern. Für ihn sei das ein Ausgleich gewesen, sagt er, aber auch eine gute Schule fürs Sprachgefühl. Bis heute genießt er es, mit Freunden am Wochenende zu rappen. „Man kann sich mit der Technik etwas erzählen oder zum Beispiel Stadt-Land-Fluss in Reimform spielen.“ In seinem Comedyprogramm bietet er den Zuschauern heute immer wieder mal einen Freestyle- Rap, für den sie ihm die Worte zurufen dürfen. SEINE MISSION: KUNST KANN SPASS MACHEN Das war jedoch nicht die einzige Bühnenerfahrung, die Schwerdtfeger in seiner Jugend sammelte. Das Spiel mit den Worten nutzte er zehn Jahre lang auch für Auftritte bei Poetry-Slams. Zwei bis drei Mal in der Woche trat er damit hessenweit auf, parallel zu seiner Arbeit im Museum. Zwei Mal wurde er Vizemeister beim Hessenslam. „Ich habe mich aber weiterentwickelt, hin zur Stand-up- Comedy.“ Anfangs arbeitete er weiter drei Tage die Woche im Städel Museum, seit 2019 ist er freiberuflich als Comedian unterwegs. „Ich spiele Shows mit mehr als 100 Zuschauern, das ist wie baden“, schwärmt er und findet: Ein paar hundert Zuschauer mehr dürfen es gerne noch sein. Doch sein Ziel ist ein anderes: „Ich würde gerne das Gesicht dafür werden, dass Kunst Spaß machen kann.“ Um dieses Ziel zu erreichen, hat er sich nun einem klassischen Medium zugewandt – dem Buch. „Ich sehe was, was du nicht siehst, und das ist Kunst“ lautet der Titel seines Erstlings, der im September erscheint und in
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