Seine souveräne Ausstrahlung und körperliche Präsenz helfen ihm auch dabei, wenn er es mit Schaulustigen zu tun hat. „Letztes Jahr hatten wir eine Reanimation auf der Zeil, und da habe ich ein paar Gaffern Handschuhe hingehalten und gesagt ‚komm mal mit, drücken!‘, und da waren die sofort weg“, amüsiert er sich. Ein Problem allerdings sei die Unwissenheit der Leute, wann ein Rettungswagen gerufen werden sollte, also wann ein akut oder potenziell lebensbedrohlicher Zustand vorliegt. Dies ist zum Beispiel nach einem Oberschenkelbruch oder einer Oberarmfraktur durchaus der Fall, da die Gefahr einer umfangreichen Einblutung besteht. „Aber für Rückenschmerzen ist der Ärztliche Bereitschaftsdienst der richtige Ansprechpartner!“ Bei Einsätzen trägt er die alleinige Verantwortung und dieselbe Garantenstellung wie ein Arzt: „Auch wir wissen nicht, was uns erwartet, wen wir da in welchem Zustand vor uns haben oder ob derjenige gar ansteckend krank ist. Gerade in der Corona-Zeit hatten wir teilweise gar nicht die Zeit, uns adäquat zu schützen, wenn ein Patient vor uns schon blitzeblau im Gesicht war und drohte zu ersticken.“ LEBEN RETTEN – UND MANCHE SEELE NOCH MIT DAZU In solchen Situationen geraten Grüne und seine Kollegen häufig in die Zwickmühle: „Machst Du etwas nicht, hast Du ein Problem wegen Unterlassung; machst Du es, hast Du gegebenenfalls auch ein Problem.“ Was ein Notfallsanitäter darf und was nicht, legt der jeweilige Ärztliche Leiter Rettungsdienst fest, und daher gibt es je nach Stadt oder Landkreis erhebliche Unterschiede. „So waren uns bis vor zwei Jahren hier in Frankfurt keine schmerzstillenden Medikamente freigegeben“, beschreibt Grüne, der sich eine einheitliche Versorgung für Notfallpatienten in Deutschland wünschen würde. Aktuell gibt es in Frankfurt für die Notfallsanitäter-Teams wie Christoph Grüne und Fraz Ahmad insgesamt bis zu 700 Einsätze pro Tag. Fotos: Dino Argentiero „Leider vergessen viele auch, dass es auf der Straße eben nicht zugeht wie in einem Lehrbuch. Wenn ich beispielsweise jemanden mit fünf Messerstichen im Bauch vor mir habe, kann ich nicht erst einen Zugang legen, die Blutung stillen und auf den Notarzt warten, sondern muss denjenigen so schnell wie möglich in eine Klinik bringen!“ Lebensrettende Einsätze kämen allerdings nur in etwa fünf Prozent der Fälle vor, schätzt der 43-Jährige, „ansonsten fühlen wir uns häufig wie Taxifahrer, Hausmeister, Notfallseelsorger oder Psychologen“. So ist er auch für Kollegen, die belastende Eindrücke mit zurück auf die Wache bringen, einfühlsamer Ansprechpartner, denn darüber reden zu dürfen, helfe bei der Verarbeitung. Immerhin kämen Depressionen und Suizide gerade auch im Rettungsdienst häufig vor. Nach dem Einsatz befragt, der bei ihm selbst am meisten Echo
STORY 24 | 25 hinterlassen hat, muss Chris Grüne gar nicht überlegen: „Als ein 40-Jähriger gestorben war, tröstete der siebenjährige Sohn seine Mutter mit den Worten ‚ist doch nicht schlimm; der war eh immer nur betrunken, und nun finden wir einen viel besseren Papa für mich und einen besseren Mann für Dich‘!“ Das habe ihn tief beeindruckt. Dennoch nehme er nach Möglichkeit nichts mit in den Feierabend. Sobald er den Rettungswagen in die Wache zurückfährt und seine Dienstkleidung auszieht, legt er auch den Einsatz ab. MAN DARF NICHT FRAGEN, WAS MAN HÄTTE BESSER MACHEN KÖNNEN Wichtig sei es für ihn stets, sich klarzumachen, dass er an dem ursächlichen Geschehen nichts hätte ändern können, daher stelle sich für ihn im Umgang mit Patienten weder die Frage nach dem Warum, der (Familien-)Geschichte dahinter oder – bei Verkehrsunfällen – nach der Schuld oder dem Verursacher. Eine wichtige Lehrstunde jedenfalls sei seine erste Geburt gewesen, bei der ihn seine Ausbilder für kurze Zeit im Wohnzimmer der Familie mit dem Neugeborenen allein ließen. „Dann sagten sie, stell‘ Dir vor, dass das Baby blau anläuft und in Deinen Armen erstickt, Du aber nichts dabei hast, um ihm zu helfen“, erinnert er sich an das so skizzierte Schreckensszenario. Er weiß allerdings inzwischen genau, dass er immer nur versuchen kann, das zu tun, was im jeweiligen Augenblick möglich ist. In einer Einsatznachbesprechung bekam er damals einen wertvollen Tipp: „Frag hinterher nicht, was Du hättest besser machen können! Wichtig ist nur, sich zu fragen, was man hätte anders machen können, damit es besser gelaufen wäre!“ Dass die Arbeit der Rettungsdienstler gerade in Frankfurt und dem Bahnhofsviertel etwas Besonderes – und für manche eine Art Kulturschock – ist, ging auch an diversen Fernsehformaten nicht vorbei. Inzwischen ist Christoph Grüne einer der wichtigsten Protagonisten mehrerer Dokuserien und auf Youtube sowie Instagram als „Rettfluencer“ (notruf.frankfurt) vertreten. „Was macht Dich glücklich?“ wurde er dort kürzlich gefragt – und seine Antwort ist klar: „Menschen helfen zu können, egal, aus welcher Schicht sie kommen!“ Und natürlich freut er sich über Gesten wie den Brief aus Amerika oder die Merci-Tafel am Auto. „Schon der Körper des Patienten, der sich beruhigt, nur weil ich da bin, zeigt mir Dankbarkeit.“ Sein schönstes Erlebnis klinge seltsam, weiß Grüne: „Wir mussten mal an Silvester um kurz vor Mitternacht die Reanimation einer 27-Jährigen erfolglos beenden, und um 0.17 Uhr hatten wir eine Geburt. Das alte Jahr endete mit dem Tod, und das neue Jahr fing mit dem Leben an!“ Blaulicht-Einsätze sind auch für Christoph Grüne keine Routine; er weiß nie, was ihn vor Ort erwartet. Foto: Jonas Ratermann
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