30 STORY Kindheit liegen („Mein Vater hatte einfach kein Verständnis für mich!“). Das therapeutische Sprechen sei der Slang unserer Kultur, schrieb der New Yorker Literaturkritiker Lionel Trilling schon in den 1950er Jahren. Damals war diese Sprache neu, eine Möglichkeit, sich in seinem Gefühlshaushalt zu orientieren, darin heimisch zu werden, sich und andere besser zu verstehen. Heute ist es eine große Etikettier-Maschine. Das Textbuch für das Störungen-Laien-Theater, das unseren Alltagsproblemen und damit uns einen großen Auftritt verschaffen soll. Befeuert wird die Psychologisierung des Alltags von einem ausufernden Ratgeber und Coaching-Markt. Er hat die die ohnehin üppige Verzeichnis psychischer Erkrankungen des psychiatrischen Klassifikationshandbuches Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders – kurz DSM – um eine eigene Produktpalette erweitert. Zu der zählt etwa auch die „Hochsensitivität“. Der Begriff geht auf die US-amerikanische Psychologin Elaine Aron zurück. Sie empfand schon als Kind Sinneseindrücke viel intensiver und begann als Erwachsene Ursachenforschung dazu zu betreiben. Eine Kollegin sagte ihr, sie sei eben „hochsensibel“. Mit ihrem Mann schrieb Elaine Aaron ein Buch über die Feinfühligkeit und setzte die These in die Welt, dass rund 20 Prozent aller Menschen Reize stärker wahrnehmen als andere. So wie etwa Brigitte Küster, Gründerin und Leiterin des Instituts für Hochsensibilität in St. Gallen. In einer Schweizer Zeitschrift schildert sie ihr „Leiden“ so: „Der Wecker reißt dich abrupt aus dem Schlaf, das Klingeln fühlt sich an wie ein Messer, dass sich in den Kopf bohrt. Du öffnest die Augen, die Sonne brennt hell auf deiner Netzhaut. Das Wasser aus der Dusche fühlt sich kalt und heiß gleichzeitig an, das Badetuch ist rau und grob, die Kleider kratzen auf deiner Haut. Die Kinder beim Frühstück scheinen zu brüllen, das Radio scheppert und plärrt auf Stufe 10.“ Tja, da würde ich – wie die meisten Menschen am Morgen – sagen: Herzlich willkommen in meinem Leben! MACHEN UNS UNEMPFINDLICH GEGEN DAS LEID DER ANDEREN Kein Wunder. Schließlich bin auch ich hochsensibel – jedenfalls nach dem Aron-Selbsttest, der dafür im Netz zur Verfügung steht. Er ist so breitmaschig angelegt wie mein Jahreshoroskop. So, dass sich die überwiegend meisten im selben Club wie Prinzessin Diana, Marilyn Monroe, Yves Saint Laurent und unserer Bäckereifachverkäuferin fühlen dürfen. Obwohl der „Hypersensivität“ bislang noch nicht den Rang einer Diagnose erreicht hat, weil dafür der wissenschaftliche Nachweis fehlt, ist sie heute einer der stärksten Trümpfe beim großen „Störungen-Quartett“ in der Outing-Arena. Mit ihm bekommt man ja nicht nur das ruhigere Zimmer. Man kann sich auch von der Teilnahme an den Härten des Alltags selbst dispensieren und sich mit einem Seufzer der Erleichterung an die breite Brust der „das-Ich-als-Opfer-Industrie“ werfen, wie der britische Soziologe Frank Furedi das Phänomen nennt. Mit einer solchen Hypothek hat man endlich genug mit sich selbst zu tun und kann sich nicht auch noch um andere kümmern. Eine Haltung, die kürzlich bei einer Bekannten in der Bemerkung gipfelte, sie könne ihre Schwägerin – aussichtslos an Krebs erkrankt – keinesfalls besuchen. „Das tut mir nicht gut. Ich bin viel zu sensibel!“ Das ist ja das Problem mit der Selbsterkundung: Mit der steten Sorge um uns und die Psycho-Päckchen, die wir angeblich zu tragen haben, machen wir uns unempfindlich gegen das Leid der anderen. Und nicht nur das. Klimakrise, Pandemie, Inflation, Krieg – alles läuft bloß noch durch den „was macht das mit mir?“-Filter. Oder – wie es die Autorin Ann-Kristin Tlusty in ihrem Beitrag für den Deutschlandfunk formuliert: „Der Therapiediskurs begünstigt einen Hyperindividualismus, der gesellschaftliche Probleme zu persönlichen verklärt.“ So verstärken sich soziale Schieflagen. Soll Marie Antoinette zum hungernden Volk einst gesagt haben: Wenn sie kein Brot haben, sollen sie doch Kuchen essen – lautet heute die Direktive: Wenn Sie die Kündigung so deprimiert, dann machen Sie doch Yoga! WIRKLICH BETROFFENEN EINEN BÄRENDIENST ERWEISEN Das habe nicht ich mir ausgedacht, sondern Ex-Fußballer- Gattin Cathy Hummels. Nach Selbstauskunft auch eine von Depressionen-Betroffene. Oder, um es mit ihrem Worten zu formulieren: „Wir alle haben unsere Issues, Struggles, Selbstzweifel, Ängste, Panikattacken, Depressionen, die Liste ist sehr lang. (…) Let’s stop MINDFUCK & Start to LOVE YOURSELF.“ Cathy Hummels also hat ein ganzes Seelen- Versehrten-Business-Imperium aufgebaut. 633.000 Menschen finden das toll und folgen ihr auf Instagram. Letzter Coup: Ein so genanntes „Sun & Soul“ Retreat im Dienste der „Mental Health“ auf Rhodos. Gemeinsam mit anderen Prominenten und Influencerinnen. Darunter Sophia Thiel, Timur Bartels, Natalie Klitschko und Diana zur Löwen. Genauso wie ein Kamerateam von RTL, ein Fotograf, Make-up-Artist, Personal Trainer, eine Fotowand mit allen 20 Sponsoren und eine Menge Rabattcodes. Drei Tage verbrachten die vermeintlich Angeschlagenen – (Natalie Klitschko in BILD „Ich habe einige Berührungspunkte mit Depressionen in meinem engen Familienkreis“) in einem Fünf-Sterne-Luxushotel mit Meerblick auf der griechischen Insel. Während des Urlaubs wurde dann Sport am Pool gemacht, der Sonnenuntergang genossen, ein Fünf-Gang-Menü serviert und den staunenden Followern ein Fotoshooting in schicker Abendgarderobe vorgeführt. Das Ganze lässt zwar irgendwie tatsächlich auf größere Probleme im Hummelschen Gefühlshaushalt schließen. Allerdings nicht auf jene, mit denen sie unter anderem auch ihren Lebensunterhalt verdient und den wirklich Betroffenen einen Bärendienst erweist. Auf Twitter schrieb eine Userin zu Cathy Hummels Retreats: „Psychische Erkrankungen lassen sich nicht mit Mädelsurlaub, Luxushotel, Rabattcode, Smoothiemixer und Mandelmilch therapieren.“ Wo ist also die ganze Hypersensibilität, wenn man sie mal braucht? Am Ende ist sie manchmal eben einfach auch bloß ein Arschloch. Wäre nur schön, man könnte es mal sagen, ohne dass gleich alle zum Heulen nach Hause gehen.
ANZEIGE 31 ENDLICH SINNESFREUDEN ERLEBEN 101 GENUSSORTE IN FRANKFURT GEWINNSPIEL Wir verlosen drei Exemplare von „101 Genussorte in Frankfurt“ aus dem Societäts-Verlag. Wenn Sie gewinnen möchten, schreiben Sie bitte eine E-Mail mit dem Kennwort „Genussorte“ an mainfeeling@rmm.de Geben sie bitte Ihren Namen, Ihre Adresse und Telefonnummer an. Einsendeschluss ist der 8. 12. 2022 Der Rechtsweg ist ausgeschlossen. Der Gewinn ist nicht übertrag- oder auszahlbar. „Wer nicht genießt, ist ungenießbar“ – das wusste schon Friedrich Schiller. Doch leider gelingt es im Oftmals stressigen Alltag immer seltener, etwas zu genießen und loszulassen. Insbesondere dann, wenn man vom Gedanken an Effizienz, dem Gefühl ständiger Erreichbarkeit und dem Streben nach vermeintlicher Perfektion getrieben wird. Doch sollten wir uns ruhig häufiger etwas gönnen. Nur wo beginnen? Julia Söhngen und Bernd Buchterkirch haben sich für Sie auf die Suche begeben und „101 Genussorte in Frankfurt“ ausgewählt: Gehen Sie mit dem Autorengespann auf Entdeckungstour und lassen Sie sich von den vielfältigen Facetten des Genusses in und rund um die Mainmetropole überraschen! Mit „101 Genussorte in Frankfurt“ haben Bernd Buchterkirch und Julia Söhngen auf 220 Seiten eine breitgefächerte Auswahl von Orten und Aktivitäten für Sie zusammengetragen, die den unterschiedlichsten Sinnesfreuden frönen. „101 Genussorte in Frankfurt“ von Julia Söhngen und Bernd Buchterkirch EIN TRAUM AUS SCHAUM OSMANISCHE BADEKULTUR FÜR ZUHAUSE GEWINNSPIEL Wir verlosen ein Wellness-Set von Hamam Originals. Wenn Sie gewinnen möchten, schreiben Sie bitte eine E-Mail mit dem Kennwort „Hamam“ an mainfeeling@rmm.de Geben sie bitte Ihren Namen, Ihre Adresse und Telefonnummer an. Einsendeschluss ist der 8. 12. 2022 Der Rechtsweg ist ausgeschlossen. Der Gewinn ist nicht übertrag- oder auszahlbar. Badekultur bereits Bestandteil des täglichen Lebens. Getrennt nach den Geschlechtern wurde hier gebadet und währenddessen die Geschäfte besprochen. Das Bad des Osmanischen Reiches ist das „Hamam“, seine Waschund Massagetechniken haben sich bis in die Gegenwart erhalten. Hamam Originals bringt die entspannende osmanische Badekultur zu Ihnen nach Hause, beispielsweise mit einem Wellness-Set, bestehend aus einem tradi- tionell gewebtem, anschmiegsamen Hamamtuch aus zertifizierter Bio-Baumwolle, einem Peeling-Handschuh aus Birkenrinde und einer feinen Naturseife. Hamam Originals produziert seine Hamamtücher in kleinen Manufakturen und Familienbetrieben in der Türkei. Und mit dem original Peelinghandschuh können Sie sich Zuhause die obligatorischen Massagen und Waschungen gönnen und wahre Verwöhnmomente genießen.
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